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„Ich arbeite nicht mit Klangflächen. Ich arbeite mit Erinnerung.“

Tom studio 2025

Ein Gespräch mit Thomas Alexander Kolbe über Klang als Spur, Konzentration als Methode – und warum Stille kein Gegensatz ist

Er lebt in Japan, in Nagoya, mit einem zweiten Zuhause in Berlin. Als Produzent, Musiker und Forscher widmet sich Thomas Alexander Kolbe jenen Bereichen der Musik, die nicht laut sein müssen, um nachzuwirken. Ein ruhiges Gespräch über klangliche Spuren, Reduktion und das Arbeiten in Aufmerksamkeit.

Frage:
Wenn man sich Deine Veröffentlichungen anhört, hat man oft das Gefühl, dass etwas zwischen den Tönen passiert – als wäre die Musik nicht nur das, was klingt, sondern auch das, was dazwischen liegt. Ist das beabsichtigt?

Thomas Alexander Kolbe:
Ja. Musik besteht für mich nicht nur aus dem, was man hört, sondern auch aus dem, was nicht gesagt wird. Ich arbeite viel mit bewussten Auslassungen, mit Reduktion. Nicht aus Minimalismus, sondern aus Rücksicht – auf das, was im Hörer selbst mitschwingt. Diese Leerräume sind keine Pausen, sie sind Übergänge, Erinnerungen, manchmal auch Spiegel.

Frage:
Du lebst in Japan, mit einem zweiten Wohnsitz in Berlin. Wie sehr beeinflusst Dich das Leben zwischen diesen Orten musikalisch – und menschlich?

Kolbe:
In Japan habe ich eine sehr klare Form von Konzentration kennengelernt. Nicht als Disziplin im äußeren Sinne, sondern als Haltung: Das, was man tut, mit voller Gegenwart zu tun. Diese Haltung überträgt sich zwangsläufig auch auf meine Musik. Berlin ist für mich mehr ein Raum, in dem ich Gedachtes umsetze – direkter, strukturierter. In Japan hingegen denke ich viel – in langen Linien.

Frage:
Du verwendest den Begriff „Memory Field“ nicht nur als Titel Deiner neuen Single, sondern auch fast als Konzept. Was bedeutet dieser Ausdruck für Dich?

Kolbe:
„Memory Field“ ist ein innerer Ort, den ich über Klang betretbar machen will. Es ist kein Ort der Nostalgie, sondern einer, an dem sich Erfahrung ablagert – unkommentiert, aber präsent. Ich glaube, dass viele musikalische Erlebnisse auf gespeicherter körperlicher Erinnerung beruhen. Ein gewisser Klang, ein bestimmter harmonischer Verlauf ruft nicht nur Emotionen hervor, sondern erinnert den Körper an etwas – manchmal ohne dass wir es bewusst zuordnen können.

Frage:
Deine meisten Stücke wirken ruhig und meditativ, aber sie entfalten immer eine klare Präsenz statt in loungige Entspanntheit abzudriften. Ist dieser bewusste Verzicht auf den üblichen „Chill“-Charakter Teil Deines Produktionsansatzes?

Kolbe:
Ich mache das nicht aus Widerstand, sondern weil es mir schlicht nicht entspricht, in solchen Beschränkungen zu denken. Die meisten Genres beruhen auf einem kulturellen Code, einem Satz gemeinsamer Zeichen. Mich interessiert eher das, was vor diesen Codes liegt – oder was bleibt, wenn man sie entfernt. Ich entferne mich zudem häufig von Strukturen wenn ich der Meinung bin, dass diese einem guten Fluss der Gefühle in einem Stück entgegen stehen.

Frage:
Wie arbeitest Du an einem Stück? Gibt es bei Dir feste Abläufe – oder eher das Gegenteil?

Kolbe:
Ich beginne nie mit Beats oder Hooks. Sowas kann ich gar nicht. Meistens höre ich erst einmal gar nichts. Ich denke mich in eine Idee hinein, in völliger Zurückgezogenheit. Wenn ich im Studio beginne, sind die ersten Klänge fast immer Testimpulse – ich horche, ob ein Material sich mit einer bestimmten inneren Bewegung verbindet. Danach arbeite ich sehr systematisch, auch analytisch. Aber der Anfang ist immer konturlos.

Frage:
Was bedeutet Dir Klang – jenseits des Musikbegriffs?

Kolbe:
Klang ist für mich eine Form von Anwesenheit. Er ist nicht nur das, was sich ausbreitet – sondern auch das, was sich einprägt. Ich glaube, dass Klang mehr mit Erinnerung und Körperwissen zu tun hat als mit Emotion im engeren Sinne.

Frage:
Du hast einmal gesagt, dass Du keine Esoterik brauchst, um über Transzendenz zu sprechen. Wie meinst Du das?

Kolbe:
Ich unterscheide klar zwischen spiritueller Praxis und esoterischer Behauptung. Der Buddhismus, wie ich ihn praktiziere, arbeitet mit Klarheit, mit Beobachtung und mit der Bereitschaft zur Reduktion von Illusion. Esoterik dagegen funktioniert oft über Suggestion, über Projektion. In meiner Musik will ich keine Bedeutung aufdrängen – ich will Räume öffnen, in denen Bedeutung individuell entstehen kann.

Frage:
Arbeitest Du an einem Stück eher für Dich – oder hast Du beim Komponieren bereits Hörer im Kopf?

Kolbe:
Ich denke nicht an Zielgruppen, aber ich denke an Präsenz. Ich komponiere so, als würde jemand neben mir stehen, der nichts erklärt bekommen möchte – sondern einfach da ist. Das Gegenüber ist also nicht die Masse, sondern ein aufmerksames, stilles Ohr.

Frage:
Du arbeitest auch mit anderen – etwa bei Club of Tone oder bei TV Serien wie „19/20“ usw. Wie unterscheidet sich kollaboratives Arbeiten von Deinen Soloprojekten?

Kolbe:
Bei Kollaborationen interessiert mich die Differenz. Ich versuche nie, das Gegenüber zu „integrieren“ oder stilistisch anzugleichen. Gute Zusammenarbeit bedeutet für mich, dass man den Raum dazwischen offenlässt – dass sich etwas Drittes zeigen darf, das weder das eine noch das andere ist. Die Ergebnisse lösen dann stets große Freude bei allen Beteiligten aus.

Frage:
Deine Titel wirken oft poetisch, fast literarisch: Starboy (The Journey Part One), Memory Field, Silent Distance. Woher kommen diese Begriffe?

Kolbe:
Ich höre sie. Nicht in Sprache, eher als rhythmische oder klangliche Idee, als Bild. Ich glaube, dass Titel Hinweise sind – nicht auf ein Konzept, sondern auf die Richtung, in die das Stück gehört werden kann. Ich mag keine rein funktionalen Titel. Musik ist nicht Funktion. Sie ist Geste.

Frage:
Was bleibt am Ende – Klang, Gedanke, Wirkung?

Kolbe:
Vielleicht bleibt etwas, das man gar nicht mehr Klang nennen würde. Eine Spur, ein Echo. Nicht im Sinne von Nachhall, sondern eher als Bewegung, die in der hörenden Person weitergeht. Ich würde mir wünschen, dass etwas Ungefähres bleibt – etwas, das niemandem gehört.

Anmerkung:
Dieses Gespräch wurde im Mai 2025 aufgezeichnet.