Dieser Text ist kein klinischer Bericht, sondern eine persönliche Beschreibung. Er handelt von dem, was bleibt, wenn neurologische Realität und psychische Erschöpfung den Alltag bestimmen – und wie Medikamente, Struktur und Achtsamkeit ein Stück Handlungsfähigkeit zurückbringen können. Der Essay reflektiert das Leben mit Depression und Epilepsie aus meiner Perspektive: nicht theoretisch, sondern praktisch – als Mensch, der mit beiden Zuständen lebt, komponiert und (so gut es manchmal noch geht) arbeitet.
Es gibt Tage, an denen der Körper spricht, bevor der Gedanke überhaupt anwesend ist. Noch bevor Bewusstsein greifbar wird, liegt da eine kraftraubende Müdigkeit – als hätte der Schlaf Energie verbraucht statt gespendet. Keine dramatische Schwärze, sondern ein leises Entleeren, das erst im Verlauf des Morgens etwas weicht. Depression bedeutet für mich nicht Traurigkeit. Sie ist das Verstummen von Energie, das Verschwinden jeder inneren Bewegung.
Ohne Duloxetin und Valproat würde ich in diesem Zustand verharren. Nicht aus Willensschwäche, sondern weil der Antrieb selbst verschwindet. Diese Medikamente sind kein Symbol und keine Rettungsgeste, sondern der technische Unterbau meiner Existenz – die Verbindung zwischen innerem Stillstand und äußerer Handlung.
Duloxetin, ein Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, hält die Kommunikation zwischen den Nervenzellen offen. Es sorgt dafür, dass Signale nicht abbrechen, bevor sie Bedeutung finden. Es erzeugt keine Freude, aber eine Stabilität, in der Denken wieder möglich ist. Ohne dieses Gleichgewicht würden Gedanken ins Leere laufen, Emotionen in sich selbst zusammenfallen.
Valproat wirkt tiefer, auf der Ebene elektrischer Aktivität. Es erhöht die Konzentration von Gamma-Aminobuttersäure, dem hemmenden Gegenspieler zu übermäßiger neuronaler Erregung. Dadurch wird das innere System ruhiger, gleichmäßiger. Es schützt vor epileptischen Entladungen, aber auch vor jenen plötzlichen psychischen Abstürzen, die mit ihnen verwandt sind. Es dämpft nicht das Leben, sondern das Zuviel.
Ich nehme diese Medikamente nicht eigenmächtig, nicht aus der Hoffnung auf Wohlgefühl. Sie werden mir von zwei Ärztinnen verordnet – einer neurologischen und einer psychiatrischen Fachärztin. Beide begleiten die Behandlung kontinuierlich, überwachen Blutwerte, prüfen Dosis und Reaktion. Dieses ärztliche Gleichgewicht ist Teil der Behandlung selbst. Es schützt vor dem Überschwingen, vor der Rückkehr ins Chaos.
Depression hat kein Gesicht. Sie beginnt nicht und endet nicht. Sie verschiebt Wahrnehmung, Klang, Reaktionszeit. Alles verlangsamt sich, wird schwer. Selbst kleine Handlungen kosten Überwindung. Ich erinnere mich an Tage (früher mal), an denen das Geräusch eines fallenden Löffels unerträglich war. In solchen Momenten wurde Musik, mein eigentliches Zentrum, zu etwas Fremdem. Ich hörte sie – aber sie berührte nichts.
Die Wirkung der Medikamente zeigt sich nicht in einem Moment. Sie geschieht in der Wiederholung, in der Gleichmäßigkeit. Sie ist kein Impuls, sondern eine Linie. Erst wenn der Wirkstoffspiegel stabil bleibt, wird auch das Denken wieder verlässlich. Ich bemerke das nicht plötzlich, sondern daran, dass Gedanken wieder eine Richtung haben, dass Wahrnehmung nicht mehr auseinanderfällt. Stabilität ist unscheinbar, aber sie ist die Grenze zwischen Bewusstsein und Stillstand.
Ich habe gelernt, Depression nicht zu bekämpfen, sondern sie zu verstehen. Sie ist kein Fehler in meinem Charakter, sondern eine Abweichung in der Chemie. Ich kann sie nicht wegmeditieren, nicht wegargumentieren. Ich kann nur mit ihr leben, ohne ihr das letzte Wort zu lassen. Es ist schwierig, aber zumindest gebe ich mein Bestes.
Wenn das Gleichgewicht hält, entsteht etwas, das man Alltag nennen kann. Kein Hochgefühl, sondern eine funktionierende Kontinuität. Ich kann schreiben, denken, Musik entwerfen – nicht mühelos, aber mit Beständigkeit. Ich kann meiner Partnerin Halt bieten und mich um meine Familie kümmern. Und meine Partnerin und meine Familie geben mir auch in schwierigen Momenten Halt. Diese Stabilität ist kein Sieg, sondern eine Form der Rückkehr.
Die Medikamente erzeugen keine Euphorie. Sie schaffen einen Raum, in dem Entscheidung wieder möglich wird. Und das genügt. Handlung ist der Unterschied zwischen Leben und Beobachtung.
Ich betrachte Depression nicht mehr als Feind. Sie ist eine Kraft, die Grenzen sichtbar macht – die fragile Architektur zwischen Körper, Gehirn und Bewusstsein. Kreativität entsteht für mich nicht aus Schmerz, sondern aus der Auseinandersetzung damit. Aus dem Versuch, Dunkelheit zu verstehen, ohne ihr zu verfallen. Eine merkwürdige Situation, nicht wahr? Was ist diese Dunkelheit? Mein Versuch, diese zu verstehen, ist ein andauernder Prozess. Deswegen ist es so enorm wichtig, ihr nicht zu verfallen.
In meiner Musik taucht das nicht direkt auf. Es fließt durch Struktur, Tempo, Wiederholung – durch den Versuch, Ruhe zu konstruieren, wo innere Unruhe herrscht. Vielleicht ist das der eigentliche Sinn meiner Arbeit: Ordnung zu schaffen, die nicht heilt, aber hält.
Duloxetin und Valproat sind unscheinbare Weggefährten. Man bemerkt sie kaum, solange sie funktionieren. Doch ohne sie zerfällt das System. Sie sind keine Metapher und kein Bekenntnis, sondern Realität in Molekülform. Ich nehme sie, und das Leben kehrt zurück – nicht als Ideal, sondern als machbarer Zustand.
Vielleicht ist Funktion selbst die stillste Form von Freiheit.